Ich möchte Projektmanager*in werden
Viele Absolvent*innen geben als Wunschposition Projektmanager*in in der Industrie an und fühlen sich aber beim Lesen der betreffenden Stellenanzeigen schnell überfordert. Manchmal hat man auch den Eindruck, dass es so viele Definitionen von Projektmanager*in gibt, wie auch Stellenausschreibungen dazu veröffentlicht werden. So ganz trügt diese Wahrnehmung nicht, es gibt hier eine sehr große Bandbreite, was als Projektmanager*in beschrieben wird. Wir wollen heute aber dennoch eine Kategorisierung vornehmen und dabei gleichzeitig versuchen der Vielschichtigkeit der Realität gerecht zu werden.
Was ist überhaupt ein Projekt?
Viele promovierte Absolvent*innen – so auch ich damals – gehen ja davon aus, dass sie sehr gut für eine Stelle als Projektmanager in Frage kommen, da sie ja schließlich auch ihre Promotion – die ja wohl eindeutig ein großes Projekt ist – erfolgreich gemanagt haben. Aber ist denn so eine Promotion tatsächlich ein Projekt im engeren Sinne? Im Alltag werden eine Vielzahl von Vorhaben sehr schnell als Projekt bezeichnet, aber wenn man sich die Definitionen aus Lehrbüchern oder von Fachgesellschaften anschaut, merkt man, dass einige dieser „Projekte“ diese Bezeichnung im engeren Sinne gar nicht verdient haben, zumindest wenn man nach den Definitionen des klassischen Projektmanagements geht. Laut International Project Management Association gilt folgende Definition für ein Projekt: "Ein Projekt ist ein einmaliges, zeitlich befristetes, interdisziplinäres, organisiertes Vorhaben, um festgelegte Arbeitsergebnisse im Rahmen vorab definierter Anforderungen und Rahmenbedingungen zu erzielen."
Viele dieser Parameter treffen - zumindest auf den ersten Blick - auch auf die Forschungsvorhaben im Rahmen von Doktorarbeiten zu. Wenn man aber genauer hinschaut, lassen sich dann doch häufig nicht alle Parameter auf Doktorarbeiten anwenden. Vor allem Forschungsvorhaben aus dem Bereich der Grundlagenforschung lassen sich nicht 1:1 durch diese Art von Projektdefinition beschreiben. Das muss aber gar nicht negativ bewertet werden, denn im Rahmen der Grundlagenforschung ist es eben so, dass man vorher zwar die Fragestellung festlegt, aber dass dann die Ergebnisse so neuartig und unerwartet sein können, dass man im weiteren Laufe des „Projektes“ die Fragestellung erweitern, anpassen, ganz aufgeben oder nochmal komplett neu hinterfragen muss. Grundlagenforschung muss sogar offen und flexibel auf Ergebnisse reagieren, sonst würde man ja niemals etwas wirklich Neues entdecken können, sondern nur immer feinere Beschreibungen des schon Bekannten vornehmen können. Dadurch ziehen sich diese Forschungsvorhaben häufig auch stärker in die Länge, als man vorher angedacht hatte (zum Leidwesen vieler Doktoranden), da man eben gerade nicht auf ein vorher exakt definiertes Endergebnis hinarbeiten kann, da dieses noch gar nicht bekannt ist. Im Kontext des klassischen Projektmanagements passen Forschungsprojekte aus der Grundlagenforschung also nicht so ganz zur Definition von „Projekt“, denn weder die „Arbeitsergebnisse“ noch der Zeitplan können im Vorhinein exakt beschrieben und geplant werden. Im klassischen Projektmanagement sind es aber wesentliche Voraussetzungen, dass nicht nur die Fragestellung, sondern auch das zu erzielenden Ergebnis vorher exakt beschrieben und ein detaillierter Zeitplan und Ablauf vor Start genau festgelegt wird.
Auch sind Promotionsprojekte nicht immer interdisziplinär aufgestellt bzw. sind häufig nicht mehrere Personen oder Personengruppen beteiligt. In diesen Fällen gibt es also nicht mehrere Stakeholder oder mehre Projektmitarbeiter, die von einem Projektmanager gemanagt werden müssen, um gemeinsam das Projektergebnis in der vorher gesetzten Zeit und unter den vorher definierten Rahmenbedingen zu erzielen. In der Regel organisiert man als Doktorand „nur“ sich selbst und seine Aufgaben und hat vielleicht noch eine TA oder einen Masterstudenten, der einen unterstützt. Natürlich hat ein Lehrstuhl ein zentrales Forschungsthema und mehre Doktoranden bearbeiten mehrere Aspekte dieses Themas und am Ende fließen die Ergebnisse aus den verschiedenen Arbeiten zum Gesamtthema zusammen, aber die einzelnen Promovierenden arbeiten im Alltag meist parallel und relativ unabhängig voneinander. Selbstverständlich hält man den Arbeitsgruppenleiter und die Promotionskollegen in den Arbeitsgruppensitzungen auf dem Laufenden und der Arbeitsgruppenleiter fügt alles zu einem Großen-Ganzen zusammen, aber im operativen Alltag unterliegt man meist keinem gemeinsamen Projektmanagement im klassischen Sinne des Projektmanagements. Nur nochmal zur Sicherheit: Die Beschreibung dieser Unterschiedlichkeit hat keinerlei negative Konnotation, es ist nur einfach so, dass sich die Durchführung von Projekten in der universitären Grundlagenforschung vom Projektmanagement industrieller (Groß-)Projekte unterscheidet und auch unterscheiden muss, da beide Bereiche unterschiedliche Zielsetzungen haben.
Was ist denn nun Projektmanagement?
Projektmanagement umfasst alle Maßnahmen der Initiierung, Planung, Steuerung und Überwachung, die notwendig sind, um ein Projekt erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Dabei werden vor Projektbeginn in Form von sogenannten Lasten- und Pflichtenheften die Anforderungen an das Produkt oder die Dienstleistung detailliert beschrieben, die Kosten kalkuliert und die zu erzielende Qualität festgelegt. Darüber hinaus müssen im Rahmen einer vorab stattfinden Risikoabschätzung (Risk Assessment) Risiken identifiziert und antizipiert werden und durch sinnvolle Maßnahmen begrenzt und abgefedert werden. Gleichzeitig müssen Chancen erkannt und positiv für den Projekterfolg genutzt werden. Der Projektmanager begleitet das Projekt von der Initiierung bis zum Abschluss und ist für die erfolgreiche Umsetzung und Steuerung verantwortlich. Hierbei muss er die dem Projekt zugedachten Ressourcen - Personen, Sach- und Geldmittel - sinnvoll einsetzen. Gleichzeitig verantwortet er auch die finale Qualität des Produktes oder der Dienstleitung (natürlich zusammen mit dem Qualitätsmanagement) und muss sicherstellen, dass Produkt oder Dienstleistung den im Lasten- und Pflichtenheft definierten Anforderungen entspricht. Auch die Einhaltung des Terminplans und des kalkulierten Budgets obliegt seiner Verantwortung. Stets muss er das sogenannte magische Dreieck des Projektmanagements im Blick haben. Dieses verdeutlicht, dass die Entitäten „Qualität“, „Kosten“ und „Zeit(-plan)“ in engster Abhängigkeit zueinanderstehen. So verursacht zum Beispiel eine Erhöhung der Qualität des Produkts automatisch höhere Kosten. Auch eine Verkürzung der Timeline führt zu höheren Kosten, da man zum Beispiel eine größere Anzahl an Mitarbeitern an die Aufgabe setzen muss, um diese schneller (also in kürzere Zeit) zu bewältigen.
Wenn man Kundenprojekte betreut, trifft man meisten auf folgenden Anspruch des Kunden: „Ich möchte ein Produkt von höchster Qualität, zum geringstmöglichen Preis und in kürzester Zeit entwickelt und hergestellt haben“. Hier gilt es als Projektmanager diplomatisch dem Kunden verschiedene Optionen darzulegen und zu erläutern, dass alle drei Parameter selten gleichzeitig zu erfüllen sind oder zu einer deutlichen Erhöhung der Kosten führt: so hat zum Beispiel eine höhere Qualität in der Regel ihren höheren Preis.
Die Definitionen sind eindeutig, die Realität ist verwirrend
Nun haben wir uns sehr genau angeschaut, was man im klassischen Projektmanagement unter den Begriffen Projekt und Projektmanagement versteht. Uns als Naturwissenschaftlern scheint zunächst alles klar zu sein, denn unsere Gehirne lieben eindeutige Definitionen. Nur leider trifft irgendwann Definition auf Realität und die Verwirrung ist groß. Man stellt sich die Fragen: (1) Warum unterscheiden sich diese Stellenanzeigen so extrem? (2) Wieso kommt es einem so vor, dass nicht klar und deutlich formuliert wird, was man auf der Position denn nun wirklich tun soll?
Zu (1) Die Stellenbeschreibungen unterscheiden sich so stark, weil sich die Realität nicht exakt an die Lehrbuchdefinitionen hält. Es gibt z.B. eine Menge von Vorhaben und Prozessen in der Industrie, die gemanagt werden müssen, aber nicht exakt den Lehrbuchdefinitionen von Projekten entsprechen. Oder manchmal entspricht das Projekt vielleicht der Lehrbuchdefinition, aber das Unternehmen möchte die Verantwortung für das Management des Projekts aufteilen, so dass ein Team bestehend aus einem Scientific Project Manager, einem Communication Project Manager und einem Financial Project Manager gemeinsam für das Projekt verantwortlich ist. Der Scientific Project Manager kümmert sich um die konkrete Planung und Einhaltung der Zeitlinie und die Planung und Umsetzung der Arbeitspakete. Der Communication Project Manager ist eine kommunikative Schnittstelle und Advokat des Kunden und sorgt dafür, dass zu jedem Zeitpunkt alle Stakeholder über die Informationen verfügen, die sie haben müssen. Dafür organisiert er in regelmäßigen Abständen Meetings und Telefonkonferenzen, schreibt und versendet Protokolle und sorgt dafür, dass die Projektdokumentation geführt wird und vollständig vorhanden ist. Schließlich bereitet er auch die Übergabe an den Kunden oder den Prozesstransfer an ein anderes Unternehmen vor, das den nächsten Schritt im Gesamtprojekt bearbeiten soll. Der Financial Project Manager schließlich kalkuliert das Budget und überwacht, dass es eingehalten wird. Leider wird in Stellenanzeigen aber manchmal im Titel nicht gut genug differenziert und alle drei Positionen firmieren unter dem Titel „Project Manager“. Übrigens gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie die Verantwortlichkeiten unter verschiedenen Teilprojektmanagern aufgeteilt werden können.
Zu (2) Manchmal sind Stellenanzeigen tatsächlich nicht besonders konkret, gerade wenn es um Projektmanagerpositionen geht. Aber manchmal ist es auch einfach so, dass man als Absolvent das Wording nicht gut genug versteht und einordnen kann. Wenn wir aber das anwenden, was wir in diesem Artikel und unter besonders gerade Punkt 1 gelernt haben, kann man ganz gut zwischen den Stelleninhalten unterscheiden und erkennen, was man auf den verschiedenen angebotenen Positionen genau tun soll, selbst wenn der Titel einfach nur „Projektmanager“ ist.
Take Home Message oder: Welche dieser Projektmanager Stellen sind denn für mich als Absolvent geeignet?
Als Faustregel gilt: Steht in der Stellenausschreibung, dass man vollverantwortlich für Zeitplan, Ressourcen (Budget) und die Erreichung der Projektziele ist handelt es sich meist um eine vollumfängliche Projektmanagerstelle. Für diese sollte man auf jeden Fall Berufserfahrung in der Industrie mitbringen, da man auf diesen Positionen tatsächlich sehr viel Verantwortung trägt und alle Zusammenhänge gut kennen und überblicken muss. Stehen aber solche Sätze wie: „Sie agieren als Schnittstelle zwischen Kunde und Unternehmen“, „Sie unterstützen bei der Einhaltung der Timeline“, „Sie sind verantwortlich für die Organisation von Meetings und dem Schreiben von Protokollen“, „Sie stellen die Vollständigkeit der Projektdokumentation sicher“ agiert man eher als kommunikative Schnittstelle und Unterstützer für den hauptverantwortlichen Projektmanager. Diese Stellen sind perfekt für Absolventen geeignet, weil man als Teil des Projektmanagementteams schon wichtige Aufgaben im Rahmen des Projektmanagements übernimmt, aber gleichzeitig auch die Zeit bekommt von erfahrenen Projektmanagern zu lernen und dann nach und nach in die Rolle eines vollumfänglichen Projektmanagers hineinzuwachsen.