HOX Life Science

HOX Life Science

Vereinbarung von Kind und Karriere -Teil 2: Gleichberechtigung leben

von Dr. Morna Gruber und Dr. Marta Lee

In der letzten Artikel haben wir eine individuelle Elternperspektive und eine persönliche Unternehmerinnenperspektive zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehört. Heute möchten wir gerne in die Problemanalyse gehen und Lösungsvorschläge anbieten. Wir geben Tipps, die schon Absolventen und Absolventinnen berücksichtigen können, um im weiteren Lebensverlauf Familienplanung und Karriere zufriedenstellend miteinander zu harmonisieren.
In Schule, Studium und während der Promotion geht es mittlerweile im Großen und Ganzen schon recht gleichberechtigt zu. Gerade im modernen Bildungsbürgertum ist ein starker Fokus auf der Bildung der Mädchen und Jungen gleichermaßen. Auch die jungen Frauen selbst streben nach Selbstverwirklichung in beruflicher und Selbstbestimmung in finanzieller Hinsicht. In der Gleichberechtigung von Mann und Frau ist also in den letzten 50 Jahren schon sehr viel erreicht worden. Die alten Problem aus der Zeit vor der Emanzipationsbewegung treten aber schlagartig wieder in den Vordergrund, wenn es um die Planung von Kindern und der Vereinbarung von Karriere und Kindern geht und manifestieren sich immer noch in großen Ungerechtigkeiten wie dem Gender-Pay-Gap und dem immer noch nicht ausgeglichenen Anteil von Frauen in Führungspositionen und Vorständen. Wir haben also eher ein Problem der Ungleichheit in Bezug auf die Möglichkeit berufliche und somit auch finanzielle Chancen wahrzunehmen von Männern und kinderlosen Frauen auf der einen Seite und von Müttern auf der anderen Seite, wobei die Mütter in dieser Kombination schlechter gestellt sind.
Wie kommt es zum Rückfall in alte voremanzipatorische Rollenmuster?
Wie kommt es dazu, dass beide Geschlechter gut ausgebildet sind, dass gleichberechtigte Partnerschaften geführt werden, in denen beide arbeiten und finanziell unabhängig voneinander sind und sich die Arbeit im Haushalt teilen – ABER PLÖTZLICH - mit der Geburt des ersten Kindes ein Zurückfallen in die klassische Rollenverteilung vollzogen wird mit dem Mann als Allein- oder Hauptversorger durch seine Erwerbstätigkeit und der Frau und Mutter, die sich um Kinder und Haushalt kümmert, und wenn die Kinder dann etwas größer sind, in Teilzeit „etwas dazuverdient“? Diese Frage ist umso wichtiger zu klären, da durch dieses Zurückfallen in die klassische Rollenverteilung es eben auch zum Karriereknick bei Müttern kommt, was auch den Gender-Pay-Gap weiter manifestiert, zur schlechteren Rentenversorgung der Frauen führt und in einem geringeren Anteil von Frauen und Führungspositionen und Vorständen resultiert.
Sind biologische Gegebenheiten schuld?
Es ist eine biologisch nicht veränderbare Tatsache, dass Frauen die Kinder bekommen. Dieser rein biologische Reproduktionsprozess kann also gar nicht gleichmäßig zwischen Mann und Frau verteilt werden. Leider wird aber auf Grundlage des biologischen Faktums, dass Kinder nur von den Frauen ausgetragen werden können, eine Implikationskaskade losgetreten, die genauso so eben nicht automatisch ablaufen müsste. Wie sieht diese Kaskade aus? Da nach der Geburt erstmal das Wochenbett und die Stillzeit folgt, bleiben die Frauen automatisch erstmal zu Hause, was auch durch die 8-wöchige Mutterschutzfrist gesetzlich so vorgesehen ist. Viele Frauen stellen sich eine Elternzeit von 6- 12 Monaten vor. Aus dem Gedanken „ich werde 6 Monate oder ein Jahr Elternzeit nehmen“ werden oft eine Verlängerung der Elternzeit auf 2 oder 3 Jahre. Die Gründe können vielfältig sein: vielleicht weil man nicht gleich einen Kita-Platz bekommt, vielleicht weil Vollzeit einem zu diesem Zeitpunkt zu viel wäre, es aber keine Möglichkeit auf eine Teilzeitstelle beim Arbeitgeber gibt, vielleicht weil man den Eindruck hat, es lohnt sich finanziell nicht mit Lohnsteuerklasse fünf in Teilzeit zu arbeiten oder auch weil das Geschwisterchen sowieso bald kommen soll. Natürlich kann auch ein Grund sein, dass man sich ganz bewusst dafür entscheidet, sich auf Kind(er) und den Haushalt zu fokussieren. So werden aus geplanten 6-12 Monaten Elternzeit schnell mal 2-6 Jahre. Diese lange Zeitspanne macht es schwer, wieder einzusteigen. Dies hat aber nicht nur einen negativen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Karriere und die finanzielle Selbstbestimmtheit und Rentenvorsorge der Frau. Dies hat auch Einfluss auf die Partnerschaft. Nicht nur die Frau wird in die traditionelle Rolle der Hausfrau und Mutter gedrängt. Auch der Mann fällt in die klassische Rolle des Ernährers und Versorgers. Dadurch lastet einerseits ein großer Druck auf ihm, in seinem Job darf nichts schief gehen, denn wenn er arbeitslos wird, fehlt das komplette Einkommen der Familie, andererseits bekommt er kaum etwas vom Alltag mit seinem Kind mit und hat nur wenige auf die Abend und das Wochenende beschränkte Erlebnisse mit dem Kind. Es ist festzuhalten, dass diese automatisierte Entscheidung für die klassischen Rollenverteilung einen immens negativen Einfluss auf die berufliche und finanzielle Zukunft der einzelnen Frau hat, darüber hinaus sogar einen negativen Einfluss auf die Karrieren aller Frauen, selbst für Frauen, die bewusst kinderlos bleiben wollen. Wie kommt es dazu?
Sind die Arbeitgeber schuld?
Hier kommt der Mechanismus zum Tragen, dass allen kinderlosen Frauen zwischen 30-40 unterstellt wird, bestimmt bald schwanger werden zu wollen. Unternehmen befürchten, wenn sie eine kinderlose Frau in diesem Alter einstellen, dass diese im ersten Jahr nach der Einstellung schwanger wird. Dies wird den Unternehmen massiv als Benachteiligung von Frauen ausgelegt. Wenn wir nun aber wieder das Instrument des Perspektivenwechsels anwenden, kann man vielleicht die Sorgen der Unternehmer ein bisschen besser nachvollziehen. Hier ein Beispiel aus der Unternehmerperspektive: „Ich benötige einen Projektmanager oder eine Projektmanagerin für einen Kundenprojekt, das eine Dauer von 3 Jahren haben wird. Das Projekt hat ein Volumen von 3 Millionen Euro und der Auftrag kommt von einem unserer Key Accounts, mit dem wir jedes Jahr in Summe 30% unseres Umsatzes erwirtschaften. Da darf nichts schiefgehen, dieser Kunde ist existentiell wichtig für uns. Frau Dr. Müller bringt die richtige Expertise mit. Aber, oh nein, sie ist 34 Jahre alt, hat noch keine Kinder und hat erzählt, dass sie letztes Jahr geheiratet hat. Sie will bestimmt bald schwanger werden. Dann fällt sie genau in der Hochphase des Projektes aus und eine Übergabe wird wieder große Verzögerungen und Kosten mit sich bringen. Außerdem wird sie vielleicht bei Komplikationen in der Schwangerschaft schon während der Schwangerschaft freigestellt. Dann macht sie mindestens ein oder zwei vielleicht sogar drei Jahre Elternzeit und danach will sie bestimmt mit 20 Stunden nur noch in Teilzeit arbeiten. Ich stelle lieber Herrn Dr. Meier ein. Er hat zwar weniger Praxiserfahrung, aber durch ihn stellen wir zumindest die so wichtige Kontinuität im Projekt sicher. Ich habe gerade schon in einem anderen wichtigen Projekt die schwangere Frau Schmidt und ich weiß noch gar nicht, wie ich ihre Stelle kompensieren soll, wenn sie in 4 Monaten in Elternzeit geht. Zwei schwangere Projektmanagerinnen von insgesamt 5 Projektmanagern sind mir momentan definitiv ein zu hohes Risiko.“ Natürlich könnte es genauso gut sein, dass die Partnerin von Herrn Dr. Meier gerade schwanger geworden ist und er jetzt schon weiß, dass er in einem Jahr sechs Monate Elternzeit nehmen möchte, und dass Frau Dr. Müller überhaupt keine Kinder will. Aber aufgrund der Erfahrungen, die der Unternehmer in der Vergangenheit gemacht hat, sind das Eintreten der von ihm in seiner Risikoanalyse gemachten Annahmen wahrscheinlicher.
Quo vadis Familie
Quo vadis Familie – oder wie man der Falle entrinnen kann?
Um dieser Falle zu entrinnen, müssen wir den Mechanismus durchbrechen, dass Elternpaare den Eindruck haben, es gäbe für die Baby- und Kleinkindjahre keine andere Art der Organisationsform als die klassische Rollenverteilung. Auch bei Arbeitgebern muss der gedankliche Automatismus durchbrochen werden, dass Frauen sowieso bald Mütter werden und dann nur noch „halbe Arbeitskräfte“ sind, die auch noch „ständig“ aufgrund von erkrankten Kindern fehlen. Um dies zu durchbrechen, gibt es nur eine Lösung: Sowohl die Care-Arbeit als auch die Erwerbstätigkeit muss balanciert zwischen beiden Elternteilen (sei es Vater und Mutter oder gleichgeschlechtliche Elternpaare) aufgeteilt werden. Wir wissen, dass dies kein neuer Gedanke ist und wir kennen auch die Einwände, dass die balancierte Aufteilung gegenwärtig nicht möglich sei, da es zu wenig Betreuungsplätze gäbe, die Arbeitsbedingungen zu unflexibel und die Arbeitgeber nicht verständnisvoll genug seien. Natürlich würden weitere Betreuungsplätze die Situation entschärfen, und natürlich gibt es in vielen Unternehmen immer noch stark verkrustete Strukturen, die eine Vereinbarung von Familie und Beruf schwierig machen und es ist klar, dass diese Bedingungen verändert werden müssen, aber wir sind der festen Überzeugung, dass Politik und Unternehmen folgen werden bzw. folgen müssen, wenn ein Großteil der Elternpaare das jetzt schon Mögliche konsequent umsetzen. Nach und nach wird sich dann die strukturelle Ungleichheit aufheben und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf das nächste Level gehoben.
Was können Elternpaare konkret tun?
Beide Elternteile nehmen zu ähnlichen Teilen Elternzeit. Wenn eine große Mehrheit der Eltern die Elternzeit zu gleichen Teilen oder annähernd zu gleichen Teilen aufteilen, dann klebt nicht mehr das Stigma an allen Frauen, dass sie sowieso bald schwanger werden und dann „ewig“ ausfallen. Plant man z.B. ein Jahr Elternzeit und teilt diese gleichmäßig auf, dann beträgt die vollständige Ausfallzeit der Frauen 6 Wochen vor der Geburt plus sechs Monate nach der Geburt – in Summe 7,5 Monate. Stellt man dies den 6 Monaten Elternzeit der Männer gegenüber, gibt es kaum noch einen Unterschied zwischen Männern und Frauen und der Grund, warum Unternehmen Frauen in den 30ern als Risikofaktor ansehen könnten, fällt weg, denn alle Geschlechter fallen in ähnlichem Umfang aus. Beide arbeiten 80% und teilen Kindkranktage und das Einspringen bei unvorhergesehen Zwischenfällen unter sich auf. Beide Elternteile reduzieren ihre Stunden auf 32-35 Stunden pro Woche. Zusätzlich achten beide Elternteile darauf, die „Notdienste“ bei Erkrankungen der Kinder und Schließzeiten der Kita im Wechsel zu übernehmen. Mit einem Stundenaufkommen von 32-35 Stunden pro Woche kann man immer noch eine verantwortungsvolle Position begleiten, sofern die Strukturen im Unternehmen darauf angepasst werden (siehe nächsten Abschnitt). Um die Nachhaltigkeit und Stabilität in den Arbeitsprozessen sicherzustellen, sollte es nicht zu langen Ausfallzeiten im operativen Alltag kommen. Deshalb ist es wichtig, dass nicht immer nur ein Elternteil die Notdienste übernimmt und dann vielleicht gleich eine ganze Woche im Job ausfällt. Wenn beide sich diese Notdienste aufteilen, werden die Arbeitgeber mehr Verständnis aufbringen, da für den einzelnen die Fehlzeiten dann kürzer sind. Auch hier wird das Stigma, das auf den Frauen lastet, dass sie sowieso immer mit halben Bein auf dem Sprung sind, falls die Kita mit einem Notfall anruft, auflösen. Häufig wird von den Elternpaaren auf die hier skizzierten Lösungsvorschläge eingewandt, dass sich das Paar diese Lösung nicht leisten könne. Da der Mann oft ein paar Jahre älter ist als die Frau und deshalb schon weiter fortgeschritten in seiner Karriere ist und zusätzlich noch das Gender-Pay-Gap zum Tragen kommt, verdient der Mann häufig mehr Geld als die Frau. Die Höhe des Elterngeldes bemisst sich am Nettogehalt des Elterngeld beantragenden Elternteils von vor der Geburt. Der Höchstbetrag beträgt 1800 Euro. Die meisten Paare rechnen sich aus, dass sie in Summe mehr Geld in der Tasche haben, wenn der Mann weiter Vollzeit arbeiten geht und die Frau die Elternzeit übernimmt und das Elterngeld bezieht. Das halten wir aber für zu ungenau kalkuliert. Für das Jahr, in dem Elterngeld bezogen wird, mag das stimmen, langfristig haben aber sowohl jedes Individuum einzeln aber erst recht das Paar zusammen mehr Geld in der Tasche, wenn sie die Elternzeit unter sich aufteilen. Da durch die gleichmäßige Aufteilung der Care-Arbeit auf beide, der Karriereknick bei der Frau abgewendet oder minimiert werden kann und sie mittel- und langfristig deutlich mehr Geld verdient als in der klassischen Rollenaufteilung. Dies gilt auch dann, wenn es für den Mann einen kleinen Bremseffekt auf die Karriere haben sollte, dadurch dass er sich gleichberechtig an der Care-Arbeit beteiligt. Da keiner komplett aussteigt, werden beide Karrieren nach kurzer Zeit wieder Fahrt aufnehmen. Außerdem wird man nur so langfristig das Gender Pay Gap und die Rentenlücke bei den Frauen beseitigen, da Frauen dann nicht mehr stigmatisiert sind, „immer auszufallen“. Außerdem erhalten die Väter endlich auch die Chance, wirklich präsent im Leben ihrer Kinder zu sein.
Balance
Was können Unternehmen tun?
Ein weiter Einwand, den die Elternpaare häufig anbringen: „Auf 80% reduzieren, wird mein Arbeitgeber niemals akzeptieren und meine verantwortungsvolle und gut bezahlte Position bin ich dann los, erst recht, wenn ich dann auch noch Kindkranktage nehme.“ Dieser Einwand muss genauer betrachtet werden, da man auf die Entscheidungen der Unternehmensführung nur bedingt Einfluss hat. Häufig hilft es aber, bei der Formulierung seiner Vorstellungen auch gleich schon konkrete Umsetzungsvorschläge zu präsentieren. Ein guter Lösungsansatz für die Sicherstellung der Stabilität der Prozesse ist die schon im letzten Artikel skizzierte Tandemlösung. Es arbeiten immer zwei Teammitglieder oder Führungskräfte so eng zusammen, dass bei kurzfristigen Ausfällen oder längeren Urlauben kein Vakuum entsteht und Prozesse und Projekte smooth weiterlaufen können. Selbstverständlich müssten Unternehmen sich darauf einlassen wollen, Strukturen und Arbeitsbedingungen zu verändern. Wir denken, ins Gespräch gehen lohnt sich. Es ist gerade so viel in Bewegung. Durch die Lockdowns während der Corona-Pandemie hat sich viel getan bzgl Remote-Work und Flexibilität der Arbeitszeiten. Vieles davon hat sich erhalten oder wird nun in systematischer Weise in eine sich in Erneuerung befindende Arbeitskultur integriert. Man sollte auch nicht unterschätzen, dass auch in den Chefetagen ein Generationswechsel im Gange ist. Es werden nun mehr und mehr Menschen zu Vorgesetzten, die selbst gerade kleine Kinder zu Hause haben und eine moderne Vorstellung von der Verknüpfung von Arbeits- und Familienleben haben und offen für Veränderungsprozesse sind. Aber eins sollte man auch mit in Betracht ziehen: Die Unternehmen sind vielen wirtschaftlichen Zwängen unterworfen und müssen viele Aspekte in ihre Entscheidungsfindung miteinbeziehen. Deshalb braucht es manchmal vielleicht auch mehrere Gesprächsrunden, um die Lösungen zu finden, die allen Aspekten gerecht wird.
ALLE müssen sich bewegen
Fazit: ALLE müssen sich bewegen
Wir wollen auf keinen Fall „Sugarcoating“ betreiben: Es ist und bleibt ein Spagat für alle Beteiligten, wenn gleichzeitig die notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung der wirtschaftlichen Stabilität des Unternehmens und die Bedürfnisse der Mitarbeitenden in Einklang gebracht werden müssen. Flexibilität heißt für uns, sich in beide Richtungen zu bewegen, nicht nur zu fordern, auch zu geben. Nur wenn sich alle Parteien bewegen, kann man einen gemeinsamen Flow finden. Es ist wie beim Schaukeln, manchmal schaukelt man gegeneinander und dann kann es auch mal eine Kollision geben, aber solange man sich bewegt und aufeinander achtet, findet man irgendwann wieder zurück in den gemeinsamen Schwung.